KI-Mythen Teil I: Manipulation von Wahrheit

Sorgen KI-generierte Bilder wie die von Donald Trumps Verhaftung wirklich für einen Anstieg an Fake News? Werden wir nicht mehr zwischen Simulation und Wirklichkeit unterscheiden können? Mitnichten.

Trumps Verhaftung nach der Vorstellung von ©Eliot Higgins.

Schon beim Hype um Krypto, NFT und Metaverse konnte einem schwindelig werden, aber das war nichts gegen das, was gerade im Bereich Künstliche Intelligenz passiert. Neue Durchbrüche überschlagen sich in einem Tempo, dass man sich fragt, wozu sich mit dem Thema beschäftigen, ist doch eh morgen schon wieder alles komplett anders – nur stimmt das eben so gar nicht. Ja, es werden aktuell wöchentlich rund 200 neue KI-Anwendungen gelauncht, und huch, die jüngste GPT-Generation schafft jede Aufnahmeprüfung an US-amerikanischen Unis, und Wahnsinn, wie echt die Fotos von Donald Trumps Verhaftung und den Strandspielen von Angela Merkel und Obama aussehen – aber was genau folgt daraus? Dass KI lernt, wie ein Mensch zu denken, fühlen und zu handeln und erst unsere Arbeitsplätze und dann unseren Platz an der Spitze der Evolution übernimmt? Tatsächlich wird der Mensch diese Position irgendwann an eine überlegene Entität abgeben, aber in welcher Form das passiert, darüber herrscht nur in einem Punkt Klarheit: KI-Modelle, wie wir sie gerade feiern, werden dabei keine Rolle spielen. Zeit, den Hype gegen Klarheit auszutauschen und ein paar Mythen geradezurücken.

Wow, so realistisch!

Zunächst war die Faszination um Text-to-Image-KI-Angebote wie DALL-E, Stable Diffusion oder Midjourney verständlich: der Mensch hat einen eingebauten Gestaltungswillen, der jedoch nur bei den wenigsten mit einer entsprechenden Gestaltungsfähigkeit korreliert. Indem bildgenerierende Tools fehlendes Vermögen kompensieren, verhelfen sie im Handumdrehen zur Willenserfüllung – das kann schon süchtig machen. Tatsächlich aber beherrscht der Mensch die Verwandlung von Sprache in Bild und umgekehrt, seit er denken kann. Literatur lesen ist nichts anderes als Kopfkino, bildende Kunst nichts anderes als Sprache in Bildern. Wovon wir uns eine Vorstellung machen können, das können wir in Bilder fassen. Die Verblüffung angesichts der Fähigkeit von KI, Dinge so realistisch abbilden zu können wie es Malerei und andere bildgebende Verfahren seit ewigen Zeiten vermögen, tritt naturgegebene Anlagen mit den Füßen, und die ganze Literatur- und Kunstgeschichte dazu. Jeder durchschnittsfähige Mensch kann sich Angela Merkel und Barack Obama beim Sandburgenbauen am Strand vorstellen, also kein Grund auszuflippen angesichts KI-generierter Bilder von genau dieser Situation, entstanden auf Basis der in Prompts übersetzten Vorstellung eines Menschen auf Basis jeder Menge bereits existierender Bilder von Merkels, Obamas, Sandburgen und Stränden.

Gefahr von Fake News?

Aber ist es nicht hochproblematisch, dass man fälschlicherweise glauben könnte, beim spielenden Expräsidentenpaar handele es sich um eine wirkliche, echte, „wahre“ Situation. Besteht hier nicht die Gefahr von Manipulation, Irreführung, Fake News? Tja. Der Mensch hat ja leider die doofe Angewohnheit, sich ins Zentrum der Schöpfung zu stellen, weshalb er glaubt, die Realität erfunden zu haben und diese jederzeit als solche identifizieren zu können. Die Philosophie betrachtet „Wirklichkeit“ im allgemeinen als Gegensatz zum Gedachten oder zur Vorstellung, wobei unter letzteres auch Träume oder Täuschungen fallen, die vielleicht nicht „wirklich“ sind, aber ein Teil von Realität im Sinne von existent. Und nachdem dank technologischer Turboentwicklungen alles, was wir uns vorstellen können, auch Wirklichkeit wird (z.B. zum Mond fliegen, Unsterblich werden), wird es Zeit, dass wir uns von der Unterteilung in „gibt’s“ und „gibt’s nicht“ verabschieden.

Wem das zu wirr ist: Erstens wird die Bewertung einer Information als wahr oder falsch bislang noch nie allein von der Konfrontation mit der Information selbst, sondern verschiedenen Kontext-Faktoren bestimmt, von der übermittelnden Quelle bis zu den Reaktionen des sozialen Umfelds. Und solange dort die meisten Kontakte noch alle Latten am Zaun haben, wird das Bild schnell gerade gerückt. Zweitens können dieselben Werkzeuge, die Bilder manipulieren oder erfinden, auch zur Identifikation von Manipulation oder Erfindung genutzt werden. Hehren Idealen (Wahrheit, Objektivität usw.) verpflichtete Medien werden möglicherweise sogar die gute alte Fact-Checker-Position wieder einführen (wurde bei nahezu allen Redaktionen abgeschafft, weil einfach echt teuer, und die blöde Leserschaft merkt die meisten Fehler doch eh nicht) und wieder etwas genauer hinschauen, bevor sie berichten. Und drittens ist es entgegen des menschlichen Bedürfnisses nach Deutungshoheit in den meisten Fällen echt egal, welche Gruppen welche Information für wahr halten oder nicht – die Erde wird nicht flacher davon, dass es nicht wenige gibt, die glauben, sie sei eine Scheibe.

Fazit: Bislang ahmt KI einfach nur nach, was schon existiert, ob in der Wirklichkeit oder in jemandes Vorstellung, sie macht das nicht besser als Menschen und sie erzeugt nichts Neues. Und selbst wenn sie irgendwann die Fähigkeit erlangen sollte, genuin schöpferisch tätig zu sein: diese Fähigkeit hat doch jeder Mensch. Jeder Mensch kann lügen oder versuchen, anderen seine Version von Wahrheit schmackhaft machen. Habe ich deshalb Angst vor der Schöpfungskraft meiner Mitmenschen? Also.

Die nächsten Teile widmen sich dem Mythos des „Menschlichen“ von KI und der Angst, von KI ersetzt zu werden.

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