Code, so zeitlos wie Jeans

Das generative Kunstprojekt „Jenim“ von Alona Rodeh und Orr Kislev übersetzt Jeansstoff in Code und wirft damit interessante Fragen auf: Wie altert Code? Und welchen Wert hat Altern in der Kunst?

Orr Kislev & Alona Rodeh, “Jenim #51” (detail), 2023. Erhältlich auf Art Blocks.

Kaum ein Material ist so weit verbreitet und dabei so ikonisch wie Jeans-Stoff, auch bekannt als Denim. Würde man die Jeans-tragenden Menschen auf diesem Planeten zählen, käme man an jedem x-beliebigen Tag auf die Hälfte der Weltbevölkerung – heißt es zumindest, und selbst, wenn es sich dabei um ein von Jeans-Herstellern in die Welt getragenes Gerücht handelt: der Mythos Jeans ist so oder so unendlich groß. Und ziemlich widersprüchlich: Gemacht, um höchster Beanspruchung ausgesetzt zu werden und dabei ewig zu halten, gewinnt eine Jeans an Wert durch Beschädigung. Unverkennbare Tragespuren, abgewetzte Stellen, Löcher und verwaschene Färbungen tragen so sehr zu ihrer Wertsteigerung bei, dass derartige Spuren des Alterns selbst neuen und ungetragenen Jeans zugefügt werden.

Wenn jetzt das Wesen dieses Stoffes in ein Kunstwerk übersetzt wird, so wie es die Kunstschaffenden Alona Rodeh und Orr Kislev getan haben, führt das unweigerlich zur Frage, wie es um den Wert des Alterns in der Kunst bestellt ist. Auch ein Kunstwerk wird wertvoller mit den Jahren – aber nur, wenn es unangetastet bleibt. Ein Kunstwerk benutzt man nicht, ein Kunstwerk soll sich möglichst nicht verändern, und tut es das doch – wie es zum Beispiel bei nachdunkelndem Firniss in der Malerei oft passiert –, dann ist das ein unschöner, durch Restaurierung auszumerzender Makel. Generative, also sich gemäß den Regeln eines Codes verändernde Kunst bedeutet somit einen krassen Angriff auf das traditionelle Kunstverständnis.

Die Frage, ob Code selbst Kunst sein kann, ist so alt wie das Programmieren selbst. Coder sprechen durchaus in ästhetischen Kategorien. Code kann schön sein, wenn er perfekt ist, wobei er das nur bleibt, solange die technische Infrastruktur existiert, für die er entstanden ist, und wer weiß, ob diese über den generativen Entwicklungszeitraum der „Jenims“ bestehen bleibt, denn der ist immerhin auf zehn Jahre angelegt. Monatlich verändern diese digitalen Übersetzungen von Jeanstextilien mit unterschiedlichen Waschungen und Bearbeitungsspuren ihr Erscheinungsbild, Nähte gehen auf, Farben verblassen, wie bei einer täglich getragenen Jeans, nur dass sie aus Code besteht, der buchstäblich den Stoff webt, aus dem diese Kunst gemacht ist. Natürlich sind die zehn Jahre Altern vorprogrammiert, Code ist nicht organisch veränderlich und altert nicht, aber das ist irrelevant in Bezug auf seinen Beitrag für die Beziehung von Werk und Publikum: zehn Jahre lang einem Werk beim Altern zuschauen und dabei das eigene Altern reflektieren, da wird die Kunst womöglich wie zu einem Kleidungsstück, das einen an gute alte Zeiten erinnert – oder einem irgendwann nicht mehr passt…

Im übrigen dürften die „Jenims“ dank ihrer konzeptuellen Stärke auch nach Erreichen ihres programmierten Alters noch weiter an Wert gewinnen. Nur eine Frage beunruhigt bei der ganzen Sache: Wenn „je älter, desto wertvoller“ für Jeans und für Kunst gilt, warum dann nicht auch für Menschen?

Lust auf Neues?

Hier geht es zu relevanten, interessanten und erstaunlichen Einblicken in das Beziehungsleben von Kunst und Technologie, effizient zusammengefasst in ein bis zwei Newsletter-Ausgaben pro Monat.

[sibwp_form id=1]