Wieviel ist das Selbst wert?

Als Künstlerin arbeitet sie traditionell analog, aber inhaltlich ist Charlie Stein in neuen Technologien zuhause. Nur konsequent, dass sie die Frage nach Sinn und Funktion von NFTs in der Kunst neu aufrollt.

Charlie Stein, “Virtually Yours (Authentic Self)”, 2023 (Detail). Courtesy the artist.

Das Selbstportrait genießt einen zweifelhaften Ruf. Historisch bestand die Aufgabe bei Portraits vor allem darin, andere darzustellen, und zwar so interessant und schön und mächtig wie möglich, und dabei als Künstler hinter dem geschaffenen Bild zurückzutreten. Dafür wurden Künstler schließlich bezahlt, und nicht dafür, sich selber wichtig zu nehmen oder sich – noch schlimmer – öffentlich mit Fragen nach der eigenen Identität oder Rolle als Künstler auseinanderzusetzen. Künstlerpersönlichkeiten schätzt der Kunstbetrieb spätestens seit dem Geniekult der Romantik zwar durchaus, aber nur solche, die wissen, dass erfolgreiche Selbstdarstellung das eigentliche Ich eher verschleiert als offenbart. Kunst soll schließlich eine Idee von etwas darstellen, nicht das Ding an sich. In der Kunst sind Schein und Sein niemals deckungsgleich, ihre Existenzberechtigung besteht darin, der als Realität angenommenen Welt etwas Anderes gegenüberzustellen, und das gilt auch für die künstlerische Selbstdarstellung – die allgemeine Definition von Authentizität hat in der Kunst also keinen Platz.

Unsigniertes ist nichts wert

Der einzige Aspekt, der einem Werk eine unmissverständliche künstlerische Identität nicht nur zugesteht, sondern geradezu abfordert, ist die Signatur, die bis heute vor allem in der Malerei den absoluten Authentizitätsnachweis darstellt. In der Kleinskulptur ist sie ebenfalls gängig, während man sich bei Großskulpturen, Installationen, Gartenkunst oder sonstigen eher nicht so signaturgeeigneten Kunstformen mit Zertifikaten behilft. Dass ein Werk und sein Echtheitsausweis getrennt voneinander existieren, ist also durchaus gelernt – umso interessanter, dass der Wert von Malerei bis heute maßgeblich davon bestimmt wird, dass die Signatur gefälligst auf der Leinwand zu sein hat.

Albrecht Dürer gilt als Begründer der Künstlerpersönlichkeit als Marktfaktor. Als Erfinder der Künstlersignatur als Authentizitätsnachweis machte er seine eigene zu einem der bekanntesten Erkennungszeichen der Kunst überhaupt, sogar als Stempel und Wasserzeichen hatte der Künstler, der sich seit seinem 13. Lebensjahr irre gern und immer wieder selbst porträtierte, sein Monogramm parat.

Dass sich die Künstlerin Charlie Stein entschieden hat, ihr jüngstes Werk, „Virtually Yours (Authentic Self)“ unsigniert zu lassen und die dazugehörige Signatur als NFT auszugeben, ist malereigeschichtlich gesehen also durchaus revolutionär. Stein arbeitet vornehmlich im Medium Malerei, ganz traditionell auf Leinwand. Ihre Sujets allerdings sind geprägt von technologischen Innovationen – Digitalisierung, Social Media, Robotik, KI – und einem ambivalenten Verhältnis dazu. Ihre meist weiblich dargestellten Androiden fahren gern Auto, obwohl das in der Zukunft, in der sie leben, wahrscheinlich überhaupt nicht mehr gemacht wird, sie zeigen menschliche Regungen in einer Intensität, von der man nicht weiß, ob sie ihrer überbordenden Sehnsucht nach menschlicher Empfindsamkeit oder einer perfektionierten Programmierung entspringt, und mit ihrem Sinn für Mode und Make-up könnten sie Anna Wintour beerben. Sie sind gleichermaßen real und virtuell, ein Leben zwischen Leinwand und Blockchain scheint für sie ein passendes Habitat.

Authentizität und künstlerische Selbstdarstellung

Das Fehlen der Signatur auf „Virtually Yours (Authentic Self)“ ist aber nur einer von einer Reihe von Twists in dieser Geschichte. Ein weiterer besteht in der Isolierung der Signatur auf der Blockchain als Verweis auf die Bedeutung von Künstlernamen als wertbestimmender Faktor. Wenn die Signatur auf einem Werk dessen Wert bestimmt, braucht es dann überhaupt noch ein Werk, ist sie dann nicht das eigentliche Asset? Dass diese Frage in Teilen des Kunstmarkts durchaus mit Ja beantwortet wird, beweisen fließbandproduzierte Arbeiten, bei denen nicht mehr der künstlerische Gehalt zählt, sondern nur noch, aus wessen Studio sie kommen.

Ein wiederum weiterer Twist besteht im Umstand, dass es sich hier offenbar um ein Selbstportrait der Künstlerin handelt, wie deren charakteristische Haartracht, eine nachlässig elaborierte Hochsteckfrisur mit Retro-Touch, vermuten lässt. Das Gesicht allerdings könnte auch das einer leblosen Schaufensterpuppe aus schwarzglänzendem Kunststoff oder Latex sein; dass Stein zudem solchen schwarzen Köpfen mit perückenartigen Frisuren eine ganze Serie gewidmet hat, ist ein weiterer die Identität der Künstlerin vernebelnder Aspekt. Und damit wären wir wieder am Anfang: Sich als Künstler zu verkaufen und dabei man selbst zu bleiben, das gelingt nur, wenn man versteht, wie Authentizität in der Kunst funktioniert.

Im Zuge des Hypes um NFT wurde deren großartiges Potential in Sachen Authentifizierung, Provenienzsicherheit oder Transaktionstransparenz geradezu glorifiziert, aber ohne richtige Kunst ist all das nichts wert. On-chain arbeitende Kunstschaffende wussten das von Anfang an. Umso schöner zu sehen, wenn sich auch nicht-blockchain-native Positionen dessen gewahr sind und mit Projekten wie diesen zeigen, dass die Reflektion über die Funktion von NFTs immer auch eine inhaltliche sein muss, um sie sinnhaft in der Kunst zu verankern.

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