Kann man das Berghain anfassen?

Das NFT-Projekt des Künstlers Philip Topolovac über eine Ikone der Clubkultur spielt mit der auratischen Wirkung von Räumen und Kunst.

Philip Topolovac war noch nie im Berghain – zumindest behauptet der Künstler das mit dem Titel seiner Arbeit „I’ve never been to Berghain“, einem Korkmodell des ehemaligen Heizkraftwerkes, in dem sich seit fast 20 Jahren der legendärste Club Europas befindet. Auch wenn er noch nie drin war, mit dem Gebäude hat er sich minutiös beschäftigt, kennt jedes Detail – aber halt nur von außen.

Bis heute gehört zur Strategie des Berghains das Fotoverbot im Innenraum. Das dient dem Schutz der Feiernden, klar, aber noch viel mehr dem Erhalt der Aura des Verheißungsvollen. Wer nicht reinkommt, kennt ja trotzdem die Geschichten darüber, wie es drinnen „ist“ und macht den Ort in der eigenen Vorstellung zur Projektionsfläche für unerfüllte Sehnsüchte – das ist ein bisschen wie mit dem Kunstbetrieb. Oder dem Hochadel. Oder sonstwie elitären Zirkeln. Um ihre Macht unter Beweis zu stellen, müssen sie sich der Öffentlichkeit zeigen, diese aber nicht über die eigene Türschwelle lassen – Anschauen gern, Anfassen verboten. Und damit sind wir bei der Kunst selbst. Seit es Museen gibt, ist das Anfassen von Exponaten verboten. Wer Kunst anfasst, kennt die Regeln nicht und gehört nicht dazu, hieß es immer. Zwar ändert sich das allmählich, auch dank partizipativer Kunst, trotzdem signalisiert ein Sockel oder eine Vitrine immer noch: die Kunst ist unantastbar.

Auch das Berghain-Korkmodell von Topolovac steht in einer Vitrine. Das ist insofern relevant, als die Serie von NFTs, die er kürzlich in Zusammenarbeit mit 3D-Künstler Neopen und dem Berliner Unternehmen für digitalbasierte Kunstproduktion BLNFT, nicht einfach nur das Modell selbst zeigt, sondern auch die Vitrine. Und das ist ja erstmal schräg, denn ein virtuelles Werk kann nicht verstauben oder von Fettfingern angetatscht werden, es muss nicht geschützt werden, warum wird es trotzdem in eine Vitrine gestellt? Vielleicht, weil es gerade eine ganz massive Auseinandersetzung mit den Ausstellungsbedingungen von Kunst-NFTs gibt und eine Verhandlung der Frage, in welchem räumlichen Umfeld Kunst gezeigt wird, die als nicht räumlich wahrgenommen wird, sofern sie nicht als 3D-Element in einer VR-Umgebung steht.

In der Berghain-NFT-Serie jedenfalls sind 15 von 30 NFT Unikate, die das Modell jeweils auf eine andere Weise präsentieren, und jede Präsentationsform ist mit unterschiedlichen Aspekten von Aus- und Darstellung belegt, von Kunst, von Macht, von Rollen. Da gibt es das Modell in einem nackten Betonkeller, auf einer Barockkommode, oder in einem Casino, jeweils in einem anderen Referenzrahmen. Das macht dieses Projekt nicht nur zu einem konzeptuell schlauen Kommentar zu den Ausstellungsbedingungen von Kunst, sondern verlangt vom betrachtenden Auge auch, die Codes zu kennen und sich dazu in Beziehung zu setzen. Wem das zu hoch ist, keine Sorge, man kann die Arbeit auch einfach nur anschauen und gut finden. Leider weiß man vorher nicht, welche Version man bekommt. Dafür hat man aber die Chance, eines von fünf Tools obendrauf zu bekommen, mit dem man die Glasvitrine zerschlagen kann, wenn man sich traut – denn das würde die Unantastbarkeit der Kunst zerstören.

Philip Topolovac und Neopen, „I’ve never been to…”, 2022. Serie von 30 NFTs, davon 15 Sonderversionen, 1 ETH. Bei BLNFT informieren und minten, und hier die Portfolios von Philip Topolovac und Nicolas André alias Neopen.

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