Eine Ausstellung im Berliner Kraftwerk setzt dem Club Tresor ein temporäres Denkmal und erzählt von der raumgreifenden Macht des Techno.
Dass in der Kunstwelt gern gefeiert wird, ist weithin bekannt, zudem sind Kunst und Clubkultur gerade in Berlin seit jeher enge Freunde, und deshalb ist es nur logisch, wenn sich der Tresor als einer der historisch bedeutsamsten Clubs Berlins mit einer Ausstellung präsentiert, die seine Geschichte eher mit künstlerischen als dokumentarischen Mitteln erzählt. Und weil dazu unweigerlich auch die Geschichte des Techno in Berlin gehört, bekommt man am Eingang zur Ausstellung für den Gang durch die brachialen Weiten des Kraftwerks Kopfhörer mit entsprechender Audiobegleitung gereicht.
Wer keinen Techno mag, bleibt besser zuhause, nicht wegen der Audiobegleitung, sondern weil die Ausstellung ihre Wirkung wahrscheinlich nur dann vollends entfaltet, wenn man sie vor dem Erfahrungshorizont durchtanzter Nächte anschaut, und mit dem Wissen um die raumgreifende Wirkung von Techno. Abgesehen davon, dass es kein Zufall sein kann, dass gerade Technoclubs mit der Eroberung von Räumen das kollektive Raumgedächtnis Berlins so nachhaltig geprägt haben (bei The Clubmap eine schöne Liste der interessantesten), regt sich dieses technotypische Gefühl von Ausdehnung in Kopf, Körper und Sinnen, die den von der Musik geschaffenen Raum auszufüllen und gleichzeitig noch weiter auszudehnen scheint, interessanterweise auch beim Ausstellungsbesuch – umso stärker, wenn man noch die Nacht zuvor genau dort getanzt hat, wo jetzt großformatige Bewegtbildinstallationen von Arthur Jafa oder Rebecca Salvadori zu sehen sind, die als assoziative Beiträge den von der Ausstellung gespannten Bogen vom Historisch-Dokumentarischen bis zum Futuristisch-Mythischen bereichern.
Alles zerfällt, wenn die Musik verstummt
Einem alten Klischee zufolge ist elektronische Musik emotionslos, weil sie von Computern programmiert ist. Es basiert auf einer Vorstellung von Technologie als Antagonist des Beseelten, als vom Mensch kontrolliertes, aber getrenntes Werkzeug, die nicht länger zeitgemäß ist: zunehmend wird Technologie als eigenständig gestaltende Kraft verstanden, die genauso die nächsten Schritte der Menschheit bestimmt wie die Menschheit die nächsten Schritte der Technologie, ein Wechselspiel gegenseitiger Beeinflussung und Durchdringung, in dem längst nicht mehr klar ist, wer wen kontrolliert. Techno erscheint wie ein Vorbote dieses Wandels, ist zugleich vereinnahmend und befreiend, kann einen Raum erzeugen und alles darin beherrschen – aber alles zerfällt, wenn die Musik verstummt.
Im Obergeschoss des Kraftwerks kulminiert das in einer ortsspezifischen, begehbaren Installation von Anne de Vries, einer assoziativen Rekonstruktion des ersten Tresor-Standorts in der Leipziger Straße, gebaut aus Sand, eine unbeständige, flüchtige Erscheinung – Zeitkunst, genau wie die Musik, haltbar nur so lange, wie man sie anschaut oder -hört, eine Mischung aus Ausgrabungsstätte und Fata Morgana. Am besten schaut man vorher im Zwischengeschoss „The Last Angel of History“ von John Akomfra an, denn auch in diesem mit erstaunlichen Verbindungen zwischen Musik und Technologie gespickten Video-Essay über Afrofuturismus spielt die Metapher der Ausgrabungsstätte eine Rolle, die Suche nach dem Schlüssel für die Zukunft durch Graben in der Vergangenheit.
In der Sandtresorlandschaft steht mittendrin die originale, die Tresortür, rostig, aber massiv, nach beiden Seiten offen in die Weite des Raums, verheißungsvoll und nutzlos zugleich. Man muss die erste Manifestation des Clubs nicht erlebt haben, um die Traurigkeit dieser Tür zu spüren, man möchte sie trösten und ihr sagen, hey, drei Stockwerke weiter unten im heutigen Tresor ist wieder Raum für endlose Räume und für alle Türen, durch die zu gehen man sich vorstellen kann, jede Nacht aufs Neue. Dank Techno, der vielleicht mächtigsten Architektin der Welt.
„Tresor 31 – Techno, Berlin und die große Freiheit“, Festival zum Geburtstag des Clubs Tresor, noch bis zum 28.8.2022 (letzter Ausstellungstag 25.8.), Programm und Öffnungszeiten Ausstellung und Clubnächte siehe Website