Walid Raad backt digitale Geburtstagskuchen für berüchtigte Figuren der Weltgeschichte und zeigt, wie NFTs zur kollektiven Teilhabe an Geschichte beitragen können.
Kann man sich Robert Mugabe vorstellen, wie er mit aufgeplusterten Backen die Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen auspustet, während ihm seine Freunde ein Ständchen singen, oder Mao Tsetung, wie er mit leuchtenden Augen auf seinen Geburtstagskuchen blickt und es kaum erwarten kann, ihn anzuschneiden? Auch Diktatoren, Mörderinnen oder sonstige schlimme Menschen haben Geburtstag, nur kann man sich die Banalität des Bösen in Gestalt einer Geburtstagskuchen mampfenden Hassfigur tatsächlich kaum vorstellen.
Auch Walid Raad konnte das zunächst nicht. Aber als der gebürtige Libanese als Teenager in seiner Heimatstadt Beirut die Erzeugnisse seiner Lieblingsbäckerei fotografierte, um sich dafür in ebendiesen bezahlen zu lassen, kam ihm eines Tages ein Geburtstagskuchen in Form eines Hasen unter, „Amine“ gewidmet – gemeint war Amine Gemayel, der damalige libanesische Präsident. Damals widerstand Raad dem Drang, die Torte zu vergiften, heute „backt“ er selber Geburtstagstorten, und zwar digitale, für eher berüchtigte als beliebte Persönlichkeiten der politischen Weltgeschichte, darunter Diktatoren, Reformer, Scheiche oder Usurpatoren und datiert ihre Drops auf ihre jeweiligen Geburtstage auf Artwrld, einer NFT-Plattform von Künstlern für Künstler, die einen Teil der Erlöse an Non-Profits spendet, die genau dort wirken, wo fragwürdiges politisches Wirken der Kunst das Leben schwer macht. Das macht „Festival of Gratitude“, so der Titel der Kuchenparade, zu einem schönen Beispiel dafür, wie aus Bösem Gutes erwachsen kann.
Geschichte gehört allen, dank NFT
Das eigentlich Besondere an diesem Projekt ist aber: Die Torten sind nicht einfach nur lustige bunte Bildchen, sie stehen für einige der konfliktreichsten, aber auch prägendsten Kapitel der Weltgeschichte in Form von nicht nur das Böse verkörpernden (Gaddafi, Mugabe), sondern auch ziemlich ambivalenten Persönlichkeiten (Thatcher, Arafat). Die humorvolle Herangehensweise in Form von kitschig überladenen Torten lässt die Geburtstagskinder wie fiktive Figuren erscheinen, ihr Wirken auf dieser Welt nur ausgedacht, zugleich gehören sie zu den bekanntesten Namen der Welt – das erzeugt einen Wahrnehmungsbruch, der sehr deutlich macht, wie wenig eindeutig und faktenbasiert Geschichtsschreibung letztlich ist. Die Veröffentlichung als NFT wiederum steht dafür, dass Geschichte allen gehört, dass alle daran partizipieren und durch ihre jeweilige Rezeption das kollektive Narrativ von Geschichte und Geschichten beeinflussen. Bislang wurde das Prinzip des fractional ownership in Bezug auf NFT rein kommerziell gedacht; es auf kulturelle oder historische Dimensionen zu übertragen ist ein Potential, das NFT-Projekte hoffentlich in Zukunft weiter erforschen werden.
Auf Artwrld gibt es einen Überblick über alle bisherigen Torten, die nächste Torte ist am 28. August 2022 zu haben, zum Geburtstag von Alexander Lukaschenko. Man muss übrigens nicht gleich die ganze Torte kaufen, ein Stück vom Kuchen tut es auch, und davon gibt es pro Torte jeweils so viele Stücke, wie das Geburtstagskind heute an Jahren zählt oder zählen würde.