In digitaler Form entfalten die virtuellen Welten von Cao Fei unerreichte Kraft, aber der Versuch, das Virtuelle im realen Raum darzustellen, wirkt unbeholfen und banal.
Cao Fei ist eine Meisterin der virtuellen Schöpfung. Ihre Arbeit „RMB City“, die Konstruktion einer fiktiven chinesischen Stadt in Second Life, der Urmutter der Web2-Metaversen, gilt als Meilenstein der künstlerischen Auseinandersetzung mit der virtuellen Abbildung und Erweiterung von realen Räumen, sie ist selber in diesen virtuellen Räumen zuhause, dank verschiedener Avatare gleich in unterschiedlicher Ausprägung, ihre Bildsprache ist geprägt von Meme-Kultur und Gaming, und trotzdem zeigt sie Einfühlungsvermögen für die Ängste und das Unverständnis von Menschen im Umgang mit Räumen, die man nicht anfassen kann. Und genau das macht ihre Arbeit so einnehmend, zusammen mit ihrem Gespür für die Grenzverschiebungen zwischen Realität und Fantasie, wie sie die Absurditäten menschlicher Gestaltungsaktivitäten auf diesem Planeten erzeugen, von sinnfreier Architektur bis zu strengen Regeln folgenden Sportaktivitäten, also alles, was so aussieht, als könne es echt nicht wahr sein.
Aktuell bespielt Cao Fei den Kunstbau des Lenbachhauses in München, einen langen unterirdischen Schlauch von einem Raum, der nicht zuletzt dank seiner merkwürdigen Eingangssituation über eine U-Bahn-Station eigentlich bestens geeignet wäre, das Publikum von der physischen Realität in eine virtuelle Welt zu führen. Was einen allerdings stattdessen erwartet, soll wohl eine atmosphärische Mischung aus Campingplatz und Elektronikkaufhaus darstellen, gerät aber zu einer trostlos dünn gestreuten Ansammlung von, ja was eigentlich. Hier ein paar Stühlchen, dort ein Sitzball oder zwei, ein durch Linien auf dem Boden und ein im Raum gespanntes Netz knapp als solches erkennbares Badminton-Feld, ein paar Stoffbahnen, die hier und da von der Decke bis zum Boden hängend als Raumfüller dienen sollen, machen die Sache eher noch schlimmer als besser. Ein paar verlorene Drucke an der Wand zeigen einen Avatar von Fei, ein Mischwesen aus Mensch und Oktopus, letzterer übrigens eine Art Wappentier der Künstlerin, ein schlaues Symbol für dezentrale Organisationen (sein Hirn steckt in den Armen) und die Verbindung von Mensch und Maschine. Der überdimensionierte Stofftier-Oktopus gleich daneben allerdings nimmt mit seinem Schießbudencharme den eigentlich wunderbaren Motiven die Kraft.
Zwischen China und Russland klappt es dann doch
Dabei gehören die filmischen Arbeiten von Cao Fei zum Besten, was man als künstlerischen Kommentar auf die ambivalente Beziehung zwischen Mensch und (mit technologischen Mitteln geschaffener) Welt nur sehen kann. Aber warum muss jede Bewegtbildarbeit in einem thematisch entsprechenden Setting gezeigt werden, die therapeutische Sitzball-Situation, die billige Campingplatz-Situation, jedes Videothema wird installativ in den realen Raum verlängert, die Wirkung der Arbeit wird dabei von der Dopplung von Inhalt und Präsentation überschrieben, man wünschte sich einfach nur Kopfhörer und einen Hocker zum Setzen.
Nur am Ende des Raumes gelingt es dann doch noch, das Wunder der realvirtuellen Verschmelzung, die Übermittlung der Erkenntnis, dass das Virtuelle überall sein kann: Ranziger Linoleumboden, sozialistisch harte Holzbänke und überdimensionierte aufblasbare Matrjoschka-Puppen bilden das Setting für eine Zweikanal-Videoprojektion und verstärken die Atmosphäre des Gezeigten, die zwischen China und Russland gelegenen Grenzstadt Manzhouli, die mit ihren Einkaufszentren und Vergnügungsparks einst für wirtschaftliche Prosperität und Zukunftsfreude stand und heute zwischen billiger Trash-Romantik und nostalgischer Entrückung zur Geisterstadt verkommt.
Es gibt kein “real” und “virtuell”, alles ist virtuell, oder alles ist real, mit ihren filmischen und digitalen Arbeiten beweist Cao Fei genau das. Aber wenn sie so gut darin ist, das Virtuelle im Physischen zu finden und zu zeigen, warum wirkt dann die Rücküberführung des Virtuellen ins Physische so holprig? Vielleicht deshalb: Der Aufbruch zu einem unbekannten Ziel fällt schwerer, als aus der Fremde nach Hause zu finden, und vielleicht ist das Virtuelle einfach schon so sehr die Heimat des Werks von Cao Fei, dass es den Weg ins Physische einfach nicht mehr so richtig findet.
Cao Fei, „Meta-mentary“, Kunstbau am Lenbachhaus, München, bis September 2024