Beim Sammeln von Ausstellungstipp mit Tech-Gehalt zum Gallery Weekend Berlin fällt auf: Der Mensch als bestimmende Kraft der Weltordnung verliert an Raum, aber die Zukunft kann trotzdem gut werden.
Wie jedes Jahr zum Gallery Weekend Berlin enthält das Angebot an Ausstellungen dank der teilnehmenden Galerien und sich anhängender Satelliten-Events das Beste, was die Kunst zu bieten hat. Die folgenden Empfehlungen sind womöglich nicht nur für Tech-Interessierte relevant, sondern für alle, die sich gern Gedanken über die Rolle der Menschheit für die Zukunft machen. Also für alle.
Neue Räume in neuen Räumen
Dass die neuen Räume der Galerie Klemm’s zu Beginn seiner Ausstellung noch nicht fertig sind, kommt Jonas Roßmeißl nur entgegen, beschäftigt er sich doch mit der Transformation und Fehlbarkeit von eigentlich mit dem Anspruch auf Perfektion errichteten Strukturen. Am neuen Standort der Galerie in der zunehmend von Kunstspots gesäumten Leipziger Straße lädt eine medial vielfältige Ausstellung zu einer ambivalenten Erfahrung zwischen Technologiefreude und Zweifel an der Sinnhaftigkeit von technologisch unterfütterter Lebensorganisation.
Jonas Roßmeißl, „Streitbildhauerei“, Klemm’s, Eröffnung 26.4.2024, 18-21 Uhr (Achtung, Eingang ist gebäuderückseitig)
In Form für Information
Das digitalisierungsbedingte Gefühl von Informations-Overkill ist allseits bekannt, aber abgesehen von der Empfehlung, doch ab und zu das Handy wegzulegen, gibt es keine Strategien für einen konstruktiven Umgang damit. Oder doch? Hannah Hallermann nutzt Kunst als Vorschlag für neue Standpunkte und Blickwinkel und geht hier der Frage nach, wie eine eher neugierig-konstruktive als sich ergebende Haltung zu neuen Erkenntnissen und Möglichkeiten im Umgang mit dem Phänomen Informationsflut führen können.
Hannah Hallermann, „Information“, HOTO, Eröffnung 26.4.2024, 18-21 Uhr
Menschen und andere Materie
Was ist Materie, wie entsteht sie, wer oder was erweckt sie zum Leben, und warum glaubt der Mensch, er sei auf alles die Antwort? Mit einer Installation aus Silizium und Pflanzen öffnet das Londoner Kollektiv Troika ein Verständnis für unterschiedliche Formen von Existenzintelligenz und Alternativen zum Bestimmerstatus des Menschen.
Troika, „anima atman“, max goelitz Berlin, Eröffnung 26.4.2024, 18-21 Uhr (Troika sind auch vertreten in der Ausstellung „Poetics of Encryption“ zum ambivalenten Verständnis von Informationstechnologie zwischen Nutzungsgewinn und okkulter Überhöhung in den KW Institute for Contemporary Art, noch bis 26.5.2024)
Zuerst kommt Intelligenz, dann KI
Kaum eine technologische Entwicklung wird so emotional und missverständlich rezipiert wie Künstliche Intelligenz. Diese Ausstellung versammelt etablierte Positionen, die dank ihrer langjährigen und auch unabhängig von KI gepflegten künstlerischen Praxis einen souveränen und konzeptuell komplexen Umgang mit KI zeigen. Quatschige Prompt-Bildchen wird man hier jedenfalls nicht finden.
Gruppenausstellung „Artificial Individuality“ (mit Memo Akten, Mario Klingemann, Leah Schrager, Robert Seidel), DAM Projects, Eröffnung 27.4.2024 15-18 Uhr, 17 Uhr Panel Talk
Meilensteine der Bildgenerierung
Kein Künstler bekommt in der Untersuchung von Internet- und sonstigen Digitalphänomenen die Mischung aus humorvoller Zugewandtheit und schlagfertiger Kritik so gut hin wie Constant Dullaart. Für seine Berliner Galerie hat der Künstler in der Vergangenheit schon virtuelle Räume errichtet, jetzt bespielt er die realen mit einer Mischung aus jüngst entstandenen und älteren Arbeiten, die ikonische Meilensteine in der Entwicklung bildgebender Technologien zitieren. Unterhaltsamer kann man Technologiegeschichte nicht vermitteln.
Constant Dullaart, „Accepting the Job“, OFFICE IMPART, bis 31.5.2024
Virtuoser Ritt durchs Virtuelle
Physisch bewegt sich Xu Wenkai zwischen Shanghai und Berlin, in virtuellen Räumen ist der Künstler, Aktivist, Blogger und Coder als aaajiao unterwegs. Seine Entdeckungen verarbeitet er in zwischen technoiden und sphärischen Atmosphären oszillierenden Installationen und auf Leinwänden, auf denen sich Digitaldruck und Zeichenstift auf virtuell-analoge Weise vermählen.
aaajiao, „A bit, A prompt”, SETAREH Berlin, Eröffnung 26.4.2024, 18-21 Uhr
Auge im Wandel, Wandel im Auge
Der Blick ist konditioniert durch das, was er vorher schon gesehen hat, und durch den Versuch des Hirns, das Gesehene zu entziffern durch Abgleich mit bekannten Strukturen und Systemen. Man könnte sagen, gleiches gilt für den künstlerischen Schaffensprozess. Eigentlich für alles. Und trotzdem kommt Neues in die Welt, und dies wiederum – von neuen Beziehungsmodellen bis zu neuen Technologien – bringt neue Konditionierungen mit sich. In einem freundschaftlich-künstlerischen Austausch reflektieren Charlie Stein und Jorinde Voigt in dieser Doppelausstellung über die Konditionierung von Wahrnehmung in Gegenüberstellung ihres künstlerischen Schaffens.
Charlie Stein und Jorinde Voigt, „Recombining Realities“, roam Projects, Eröffnung 26.4.2024, 18-21 Uhr (nur bis 28.4.2024)
Mit dieser Ausstellung ist roam auch Teil des „Sellerie Weekend“, das zeitgleich zum Gallery Weekend eine Fülle von Projekträumen orchestriert und auf seiner Website eine top Übersicht über das einzigartig vielfältige Ökosystem von Projekträumen in Berlin bereit hält.