Seit sie vor allem digital stattfindet, erfreut sich generative Kunst zwar wachsender Beliebtheit, ist aber auch dem Vorwurf ausgesetzt, repetitiv und beliebig zu sein. Natürlich lässt sich der entkräften.
Richtige Kunst kann allein von menschlicher Künstlerhand geschaffen werden, existiert allein in physischer Form, hat kein Interesse an kommerziellem Erfolg – selbst in kunstkundigen Kreisen immer noch gängige Kriterien, deren unreflektierte Anwendung einen erstaunlichen Grad an Misstrauen allem Neuen gegenüber gerade dort manifestiert, wo ansonsten gern behauptet wird, Kunst dürfe alles. Kein Wunder jedenfalls, dass mittels neuer Technologien entstandene Kunst immer noch so wenig Anerkennung findet, und daran kann auch ein Hype nichts ändern, zumal einer, der nicht von der sogenannten traditionellen, also der analogen Kunstwelt selbst angestoßen wurde. Zwar mochte ihn mit Christie’s ein etablierter Player auf den Weg gebracht haben, aber den Urheber des im März 2021 versteigerten NFT musste man allein schon deshalb für fragwürdig halten, weil er unter einem Künstlernamen („Beeple“) reüssierte und innerhalb des etablierten Kunstbetriebs völlig unbekannt war. Aber während sich weite Teile der Kunstwelt noch freuen, dass es mit dem NFT-Hype wieder vorbei ist, erhält digitale und sonstwie technologiebasierte Kunst mehr und mehr Zulauf, und es zeigt sich, dass sie ganz unabhängig von ihrem technologischen Bezug die gleichen fundamentalen Fragen ans Kunstmachen stellt wie analoge Kunst, nur zum Teil viel deutlicher, wie etwa das Genre der generativen Kunst gut zeigt.
Im Kern basiert generative Kunst auf dem Durchlaufen einer Abfolge von vorab definierten Anweisungen (Algorithmen) und Entstehungsbedingungen, aus denen sie sich autonom weiterentwickeln kann, wobei der Fokus auf den Entstehungsprozess gelenkt wird. Ob in der Ornamentik islamischer Kunst, bei den mechanischen Zeichenmaschinen als Vorstufen computergestützter generativer Kunst (siehe etwa die Arbeiten des Pioniers Desmond Paul Henry) oder der Konzeptkunst des 20. Jahrhunderts (Josef Albers, Elsworth Kelley oder Bridget Riley), das algorithmische Prinzip funktioniert auch da, wo die Ausführung ganz analog in Menschenhand liegt. Mittlerweile wird generative Kunst allerdings vornehmlich digital und onchain verortet, wobei bilderzeugende Algorithmen direkt auf eine Blockchain programmiert werden und das beim Kaufvorgang generierte Werk als NFT ausgegeben wird. Anders als bei frühen computerprogrammierten Beispielen beinhaltet der Einsatz von selbstlernenden Algorithmen auch die Ausbildung von nicht final durch den Mensch definierten Gestaltungsparametern. Dieser Umstand sowie der inflationäre Gebrauch des Begriffs „generative KI“, das weit verbreitete Missverständnis von KI als autonom gestaltender Entität und nicht zuletzt konzeptuell unterkomplexe Generatoren-Tools, die versprechen, auf Knopfdruck beeindruckende Motivpermutationen zu generieren, haben die Fehlannahme befördert, bei generativer Kunst ginge es darum, den Schaffensprozess aus der Hand zu geben und alles Weitere dem Zufall zu überlassen.
Aber auch wenn die potentiell unendlich fortführbaren Serien aus Variationen eines Motivs tatsächlich manchmal unvorhergesehene Ergebnisse ausspucken (eines der bekanntesten Beispiele dieses Phänomens ist der gegenstandliche Ausreißer einer Gans in einer ansonsten aus abstrakten Kreis- und Linienkompositionen bestehenden Serie „Ringers“ von Dmitri Cherniak), Algorithmen sind keine Zufallsgeneratoren – könnte man Zufall programmieren, wäre es ja keiner mehr. Und es geht auch nicht darum, Kontrolle abzugeben, sondern das Unkontrollierbare in den Schaffensprozess zu integrieren, in Anerkennung des Umstandes, dass Kunstmachen eh größtenteils eine explorative Angelegenheit ist, die ohne fortwährendes Ausprobieren unter Einbezug äußerer Variablen überhaupt keine Ergebnisse produzieren würde.
Auch ohne Technologie ist Kunst generativ
Apropos Ergebnisse, auch der Vorwurf, generative Kunst würde immer nur das Gleiche ausspucken, kann so nicht stehenbleiben. Immer wieder Neues zu schaffen und gleichzeitig wiedererkennbar zu sein, Arbeiten zu produzieren, die jeweils für sich stehen und sich ins gesamte Oeuvre einfügen, das sind Herausforderungen, mit denen Kunstschaffende ganz grundsätzlich konfrontiert sind – der serielle und scheinbar repetitive Charakter generativer Kunst macht das nur besonders klar. Wobei von Repetition spätestens dann keine Rede mehr sein kann, wenn man sich die Betrachter- bzw. Käuferrolle genauer anschaut. Neben einigen wenigen Galerien (z.B. bitforms in New York oder DAM in Berlin), welche Pioniere des Genres wie Vera Molnár oder Casey Reas vertreten, bieten Plattformen wie Artblocks blockchainbasierte Serien an, aus denen man, indem man mit dem Algorithmus interagiert, nicht einfach nur das gewünschte Werk auswählen, sondern selber generieren kann. Wobei nicht klar ist, ob es nicht im weiteren Verlauf seine Gestalt ändern und einem die Ko-Kreatorenschaft versalzen wird: Kunstschaffende wie Harm van den Dorpel oder Sarah Friend sind bekannt für ihre Lust an mutierenden Codes, die ein Werk nach Kauf verändern und sogar verschwinden lassen können und auf den nicht selten gestellten Ewigkeitsanspruch an Kunst pfeifen.
Blockchain und KI mögen generativer Kunst einen neuen technologiegetriebenen Spin verliehen haben, aber was sie ausmacht, gilt für jede Kunst: die Skulptur, die aus jedem Blickwinkel anders aussieht und nie in Gänze zu greifen ist, die Malerei, deren Sujet über den Rand der Leinwand hinaus wirkt, und nicht zuletzt das, was bei der Betrachtung ausgelöst wird und das Werk weitererzählt – Kunst ist nicht statisch, sondern interagiert mit den Umständen, unter denen sie geschaffen und rezipiert wird. So gesehen ist jede Form von Kunstschaffen generativ, auch ohne Technologie.
Dieser Beitrag erschien in leicht gekürzter Fassung erstmals im Magazin kultur politik des bbk, Ausgabe 3/2023 zum Thema “Kunst und KI” (die gesamte Ausgabe gibt es hier zum kostenfreien Download)