NFTs und Kunst: Wegweiser für Einsteiger

Jetzt, wo die meisten endlich wissen, dass nicht jedes NFT automatisch Kunst ist, warten die nächsten Fragen: Wie erkennt man Kunst-NFTs, wo findet man sie, von wem soll man welche kaufen? Eine kleine Orientierungshilfe für Einsteiger

Jetzt endlich, da auch Hardcore-NFT-Skeptiker verstanden haben, dass nicht alle NFTs Kunst sind oder sein wollen; jetzt endlich, da die Erkenntnis wächst, dass es unterschiedliche Verständnisse von Kunst, von Besitz, von Sammeln gibt; jetzt, wo dank Krypto-Winter der Hype um Preisrekorde abflaut; jetzt endlich können wir anfangen, uns den wirklich wichtigen Fragen rund um Kryptokunst zu widmen. Die drängendsten: Wie erkenne ich, welche von den vielen lustigen bunten NFT-Bildchen echte Kunst sind und von wem kann ich, wenn ich selber keine Augen im Kopf oder 100 Stunden pro Tag Zeit zum Gucken und Filtern habe, vertrauenswürdige Kaufempfehlungen erhalten, wer weist mir den Weg durch dieses bislang noch ziemlich unsortierte NFT-Labyrinth?

Nun, ganz so unsortiert ist das alles gar nicht. Von den im „Artnet NFT 30 Report“ (eine Art „Art World Power 100“-Ranking für die Kunst-NFT-Szene) genannten Namen jedenfalls sind fast alle so direkt miteinander verbunden, dass man an einen von jeder Frischwasserzufuhr abgeschnittenen Teich kurz vorm Umkippen denken muss, aber keine Sorge, diese Namen repräsentieren lediglich die Pflöcke, die das NFT-Spielfeld soweit abgesteckt haben, dass der Ball überhaupt erstmal ins Rollen kommen konnte. Sowohl das Feld als auch die Spieleranzahl sind beliebig erweiterbar – es braucht einfach nur Leute, die mitspielen wollen, und dafür muss man praktischerweise nicht mal die Regeln kennen, denn die werden zum Teil nämlich erst noch geschrieben. Wer sich jetzt in einen neuen Bereich der Kunst einarbeiten will, darf sich also ohne Not als unwissend outen und doofe Fragen stellen und kann mit wachsendem Kenntnisstand selbst zu einer einordnenden und mitgestaltenden Instanz werden.

Weil sich das Kryptokunstgeschehen aber entgegen oberflächlicher Einschätzungen durchaus in eine Tradition stellt und es am Ende auch hier um gängige Bewertungskriterien wie konzeptuellen Gehalt, ästhetischen Anspruch oder mediale Originalität geht, empfiehlt sich für den Einstieg eine Orientierung bei jenen Instanzen, die in der „traditionellen“ wie der „neuen“ Kunstwelt zuhause, also schon länger im Kunstbetrieb unterwegs sind und die sich durch einen gewachsenen Überblick und eine gewisse Hype-Resistenz auszeichnen. Die folgende Liste von Medien, KuratorInnen, Plattformen steht exemplarisch und ausschnitthaft für solche Instanzen und ist explizit als Handlauf für Einsteiger mit Kunst-, aber ohne NFT-Vorkenntnisse gedacht (Fortgeschrittene dürfen natürlich auch weiterlesen, werden aber – spoiler alert – womöglich nichts Neues erfahren).

Medien, die informieren, kritisieren, kontextualisieren

Wer keine Zeit hat, sich stundenlang auf Twitter und Discord – den präferierten Social-Media-Kanälen der Crypto Community – herumzutreiben und von einem Rabbit Hole ins nächste zu stolpern, fängt bei der regelmäßigen Lektüre von zwei neuen Medien an: Outland berichtet über das Wirken von digitalen Technologien in der Kunst und will genauso wie das Onlinemagazin Right Click Save einen kritischen Diskurs über NFTs für Kunstschaffende, Sammler und die interessierte Öffentlichkeit pflegen. Auch manche Handelsplattformen (dazu unten mehr) haben eigene Onlinemagazine, bei SuperRare z.B. interessant ist die Rubrik „Artist Profiles“, welche die Herangehensweise von Kunstschaffenden an ihre (zum Teil erstmaligen) NFT-Projekte beleuchtet.

Unter den Blogs zu NFT und Crypto ist v.a. die US-Amerikanerin Amy Castor zu nennen, geschätzt für ihre investigative Arbeit (u.a. wusste sie als erstes, wer sich hinter dem zunächst anonymen Beeple-Käufer namens „Metakovan“ bei Christie’s verbarg). Ihr kritischer Blick ist auch deshalb unverstellt, weil sie ein „No-Coiner“ ist und keine NFT kauft. Anders ist das bei einem weiteren Veteranenblogger aus dem Kunst-und-Tech-Sektor, James Bailey von Artnome, der sich aktuell mehr dem Aufbau von ClubNFT widmet, einer Plattform für das Management von NFT-Sammlungen. Bailey ist auch Teil der Artnet-NFT-Liste, genauso wie Kenny Schachter, u.a. Artnet-Kolumnist, NFT-Beschwörer und mittlerweile auch -Creator und somit alles andere als objektiv, aber top informiert und amüsant – allerdings dann doch eher was für Fortgeschrittene, da sehr aus einer Inner-Circle-Perspektive heraus wertend.

Das deutschsprachige Medienfeld ist leider noch kaum bestellt, vielleicht auch, weil der Diskurs um das Thema vor allem englischsprachig ist. Hier sind die Texte von Kuratorin und Publizistin Anika Meier zu nennen, v.a. ihre Kolumne in Kunstforum. Die Publikation „Kryptokunst“ (Wagenbach, 2021) von Kolja Reichert wurde zwar viel zitiert, geriet aber womöglich unter dem Druck, möglichst zeitnah auf ein Phänomen zu reagieren, eindimensional kritisch und oberflächlich, deshalb nur mit Einschränkung zu empfehlen. Auch kritisch, aber mit mehr historischem Kontext und Hintergrundwissen versehen ist die Publikation „Surfing with Satoshi“ (Aksioma Verlag, 2021) des auf technologische Entwicklungen in der Kunst spezialisierten Kunstkritikers Domenico Quaranta, http://domenicoquaranta.com/ (wem ein Buch zu viel ist: bei Spike Magazine gibt es online einen gekürzten Auszug)

Unter den deutschsprachigen Podcasts ist NFT Mania von Cem Tekin zu empfehlen, der die Vermittlung von Grundwissen mit aktuellen Entwicklungen verbindet und, obwohl er nicht aus dem Kunstbetrieb kommt, ein Verständnis für künstlerische Praxis zeigt, das auch traditionelle Kunstweltler anspricht. Unter den englischsprachigen Podcasts hörenswert: die Crypto Girls, die seit über einem Jahr mit ihrer Hörerschaft teilen, auf welche Weise und mithilfe welcher Quellen sie sich Wissen über Kryptokunst und andere Krypto-Themen aneignen.

Wer kuratiert digitale Kunst und NFTs?

Kuratierende Instanzen agieren nicht nur in Ausstellungshäusern, sondern vermehrt auch auf NFT-Handelsplätzen, weil die unsortierten Plattformen der ersten Stunde, vor allem OpenSea, gerade Einsteiger überforderten. Neue Handelsplätze setzen von vornherein auf Kuration und Kontext. Verse etwa arbeitet mit so illustren Gastkuratoren wie Elena Soboleva von David Zwirner und Noah Davis von Christie’s zusammen, stellt die angebotenen Arbeiten zu kontextualisierenden Ausstellungen zusammen und veröffentlicht Hintergrundinfos, deshalb trotz gerade erst erfolgtem Launch (Juni 2022) eine Empfehlung zur Orientierung.

Kurationsgetriebene Handelsplätze sind häufig mit Blockchain-Anbietern verbunden, die dezidiert bildende Künstlerinnen und Künstler mit konzeptuellem Ansatz ansprechen. Hier zu nennen sind Algorand und die Plattform Aorist, auf der viele schon lange im Bereich Kunst und Technologie operierende, bereits etablierte Namen vertreten sind, die man auch als Einsteiger schnell wiedererkennt, und Tezos, nicht so sehr wegen des Tezos-Handelsplatzes objkt (der verfügt nämlich zwar über gute Filterfunktionen, aber wenn man noch nicht weiß, wonach man suchen soll, ist man da trotzdem verloren), sondern wegen der Vermittlungsarbeit, die sich in eigenen Ausstellungen und Talkveranstaltungen zeigt, wie z.B. bei der Art Basel 2022 (die Talks sind archiviert), und von der Kuratorin Diane Drubay betreut wird.

Interessant für die Kontextualisierung und Einbettung in das digitale Kunstgeschehen, das ja nun immerhin schon rund 60 Jahre umfasst, sind Institutionen mit entsprechendem Sammlungsschwerpunkt. Zu folgen (auf Twitter und/oder nach Talks und Texten googlen) lohnt sich z.B. Kuratorin Christiane Paul, u.a. für New Media Art am Whitney Museum unterwegs, oder ZKM-Kuratorin Margit Rosen. Auch freie Kuratoren sind gute Wissensvermittlungsquellen. Ein Beispiel ist der Schweizer Georg Bak, der als Galerieassistent bei Hauser & Wirth begann, heute als Kurator und Art Advisor für digitale Kunst arbeitet und für die Kunsthalle Zürich gemeinsam mit Kunsthallendirektor Daniel Baumann die großangelegte Wanderausstellung „SNOWCASH“ kuratiert (Eröffnung Oktober 2022), die sich der Entstehungsgeschichte und -Kultur von NFT und Metaverse widmen wird.

Künstlerinnen und Künstler mit Vermittlungs-Power

Die hier genannten Kunstschaffenden bewegen sich mit Selbstverständlichkeit zwischen analogen und digitalen Räumen (und das nicht erst seit dem NFT-Hype) und schreiben oder sprechen so regelmäßig und kompetent über ihre Arbeit und aktuelle Entwicklungen, dass sie nicht nur durch ihre künstlerische, sondern auch ihre Vermittlungsarbeit zu Säulen der neuen Kunstfelder geworden sind. Außerdem dienen sie mit ihren Aktivitäten als Wegweiser zu weiteren spannenden Positionen, mit denen sie z.B. in Gruppenausstellungen vertreten sind, ihre CVs und Ausstellungsbios zu scannen lohnt sich also genauso wie ihnen auf Twitter und Instagram zu folgen und ihre Talks und Interviews zu konsumieren.

Simon Denny thematisiert neue Technologien, ihre Mechanismen und Auswirkungen auf Konsum, Ästhetik und Gesellschaftsstrukturen, arbeitet mit digitalen Räumen und Phänomenen von Minecraft bis Blockchain. Auch als Kurator für NFT-/Kryptokunst tätig, Teil des KI-Kollektivs Cosmographia, und kollaboriert mit anderen KünstlerInnen. Z.T. Projekte mit humorigem Twist, z.B. die „Dotcom Séance“, eine Geisteraustreibung mit Internetunternehmen der Dotcom-Blase. Erzählt z.B. in dieser Folge des auch ansonsten sehr hörenswerten Podcasts namens Interdependence von Holly Herndon und Mat Dryhurst (beides auch sehr interessante Positionen im Kunst-Tech-Feld) eingängig über seinen Zugang zu Kryptokunst.

Harm van den Dorpel eignet sich seit Beginn seiner Karriere digitale Tools und Technologien und deren Anwendung an, in der digitalen Kunst seit Net-Art-Zeiten aktiv. Interessiert sich für Manipulationen und Mutationen, arbeitet mit der Ambivalenz, Technologien zu beherrschen und gleichzeitig ihre Mechanismen zu unterwandern oder die Kontrolle über die eigene Arbeit abzugeben. Gründer der leider kürzlich geschlossenen und wahrscheinlich einzigartigen left gallery für „downloadable objects“.

Krista Kim hat 2021 das erste virtuelle Apartment verkauft, „Mars House“, eine 3D-Datei mit NFT, aber schon lange mit der Gestaltung von virtuellen Räumen und blockchainbasiertem Immobilienmarkt beschäftigt. Folgt ihrer Theorie vom „meditative design“, nach der digitale Welten unter Einbezug menschlicher Empfindungen gestaltet werden sollen. Hat außerdem das „Techism Movement“ begründet, nach dem Technologie als eine Form von Kunstschaffen gilt. Verbindet hochtheoretische Konzeption mit sinnlichen Installationen.  

Jonas Lund hat als einer der ersten Künstler ein eigenes Token gelauncht (JLT), um seinen SammlerInnen Teilhabe an seinen künstlerischen Entscheidungen zu ermöglichen, z.B. wo er als nächstes leben und arbeiten oder welchem Thema er sich als nächstes widmen soll. Hatte auch schon früh einen Discord (wo die meisten NFT-Projekte über ihre Arbeit informieren) und hält seine Community proaktiv und gut verständlich informiert über seine Arbeit (z.B. mit kurzen Video-Updates auf Instagram).

Sarah Meyohas hat als eine der ersten Künstlerinnen das Potential der ökonomischen Selbstbestimmung für Kunstschaffende thematisiert, 2015 ihre eigene Kryptowährung namens „BitchCoin“ herausgebracht, deren Wert an das Wachstum ihrer eigenen künstlerischen Karriere gekoppelt ist. Verfechterin von Social Tokens als Möglichkeit der Partizipation an künstlerischem Schaffen durch eine Community, hat aber auch einen kritischen Blick auf die Verheißungen von NFT im Kunstmarkt. Hier z.B. ein kurzes, aber informatives Interview mit ihr.

Addie Wagenknecht bezeichnet sich als „anti-disciplinary“, hat aber einen Fokus auf neue Technologien, nutzt als Künstlerin von Open-Source-Software bis zum Staubsauger-Roboter alles an Digitalem und Programmiertem, was ihr in die Finger kommt. Ist als Entwicklerin und Beraterin nach Stationen bei Polkadot und Helium aktuell als Head of Web3 bei der Algorand Foundation tätig, dort mitverantwortlich u.a. für den Aufbau des oben genannten NFT-Handelsplatzes Aorist, aber auch nichtkunstbezogene Applikationen. Spricht regelmäßig öffentlich als Expertin für Blockchain- und DeFi-Themen mit Blick auf einen größeren gesellschaftlichen und kulturellen Kontext.

Und hier passend dazu noch ein paar Galerien, deren Programme digitale Kunst und NFTs beinhalten und die zum Teil über den Verkauf hinaus auch Vermittlungsarbeit z.B. in Form von Talks bieten, die aber keine reinen NFT-Galerien sind (die gibt es natürlich, sie sind aber im Kontext dieses Beitrags irrelevant – eine Galerie, die sich dick „NFT“ über die Tür schreibt, stellt sich nicht unbedingt in jenen Kunstkontext, den wir hier zur Orientierung empfehlen), ungewichtet in alphabetischer Reihenfolge:

Annka Kultys | Bitforms | DAM | Epoch | Nagel Draxler/Crypto Kiosk | Office Impart | Ora-Ora | Priska Pasquer | Transfer Gallery | Upstream | Kate Vass | Bryce Wolkowitz

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